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Umgehört: Friedensbotschaft

Eine Frage, sieben Antworten: »Wie hat sich der Krieg in Ihrer Heimat auf Ihre Kunst ausgewirkt?«

Text: Ivana Rajič, 23. April 2024

 

Im Elbphilharmonie Magazin-Format »Umgehört« wird es ganz schön persönlich: Sieben Künstler:innen – ob komponierend oder musizierend, Pop oder Klassik – stellen sich einer Frage und offenbaren ihr (Innen-)Leben. Es geht um ein Mit- und Nebeneinander von unterschiedlichen Perspektiven auf umfassende Themen, die im Grunde genommen auch nur aus einzelnen subjektiven Erfahrungen zusammengesetzt sind. 

Internationales Musikfest Hamburg

Höhepunkte zum Saisonfinale: Die großen Hamburger Orchester und Top-Gäste widmen sich für mehr als fünf Wochen dem Motto »Krieg und Frieden«.

Dakh Daughters

Dakh Daughters
Dakh Daughters © Oleksandr Kosmach

Schrille Erscheinung, ernste Botschaft: Seit ihrem Auftritt bei den proeuropäischen Demonstrationen auf dem Kiewer Maidan 2013 sind die Dakh Daughters nicht nur in der Ukraine Kult. Nachdem Russland fast zehn Jahre später ihr Heimatland überfallen hat, flohen die Künstlerinnen nach Frankreich und fanden, dass »die Ukraine in der Welt durch die Brille der russischen Propaganda dargestellt wird«. Mit ihrem lauten und gewagten Mix aus ukrainischer Folklore, Punk, Kabarett, Prog-Rock und Klassik möchten sie deshalb »die Wahrheit über die Geschichte der russischen Aggression gegen die Ukraine und die Kriegsverbrechen der russischen Soldaten auf ukrainischem Gebiet vermitteln«. In ihrem mitreißenden »Freak Cabaret« spielt die Frauenband Dokumentarvideos aus der Ukraine ab, erzählt Geschichten von den Schicksalen ihrer Landsleute und tauscht sich nach den Konzerten mit dem Publikum aus. Für die Dakh Daughters wird ihre Kunst so zu einer »Waffe«.

Ibrahim Maalouf

Ibrahim Maalouf
Ibrahim Maalouf © Denis Rouvre

»Was wir als Erwachsene tun, ist das Ergebnis unserer Kindheit«, davon ist der 1980 im Libanon geborene Jazztrompeter Ibrahim Maalouf überzeugt. »Als mich meine Mutter zur Welt brachte, wurde das Krankenhaus gerade bombardiert«, erzählt er. »Das prägt einen für immer.« Eigentlich wollte Maalouf als Kind Architekt werden, um die Trümmer seiner Heimatstadt Beirut, aus der er mit seinen Eltern nach Paris fliehen musste, wieder aufzubauen. Stattdessen versuchte der junge Exilant, sein musikalisches Erbe zu bewahren, und übte sich im Spagat der Kulturen: Er spielte Bachs »Brandenburgische Konzerte« ebenso wie traditionelle arabische Musik – auf einer mikrotonalen Trompete, die sein Vater Nassim in den Sechzigern entwickelt hatte. Sie half ihm, »beide Identitäten« in sich zu verbinden, wodurch er erst zu einer »menschlichen Brücke« werden konnte: »Ich glaube, dass alles miteinander verbunden ist, und an die Kraft der Musik, den Menschen zu helfen, einander zu verstehen, und so Frieden zu schaffen.«

Edmar Castañeda

Edmar Castaneda
Edmar Castaneda © Roey Yohai

Mehr als fünf Jahrzehnte lang tobte in Kolumbien ein brutaler Bürgerkrieg. Fast 220.000 Menschen kamen ums Leben, Millionen wurden vertrieben. »In den 1990erJahren war es mit den Drogenbanden und all den anderen bewaffneten Gruppen in Kolumbien sehr gefährlich und bedrückend«, erinnert sich der aus Bogotá stammende, in New York lebende Harfenist Edmar Castañeda. »Die Musik war eine Möglichkeit, diesem Wahnsinn in meinem Heimatland zu entkommen.« Sie führte ihn auf eine virtuose Reise durch die Jazzwelt des Big Apple, angetrieben von improvisatorischer Freiheit und mitreißenden lateinamerikanischen Rhythmen. Mit dem körperlichen Einsatz eines Flamenco-Tänzers spielt er dabei das Instrument seiner Wahl, die traditionelle Arpa Llanera. Für den gläubigen Katholiken ist sie »ein Geschenk Gottes« und hilft ihm, den durch blutige Konflikte verursachten Schmerz loszulassen und Lebensfreude zu verbreiten. Denn eins ist ihm klar: »Musik ist mächtig, wenn man sie einzusetzen weiß.«

Bakr Khleifi

Bakr Khleifi
Bakr Khleifi © George Khleifi

1991 in Jerusalem geboren, kennt der Oud-Spieler und Kontrabassist Bakr Khleifi nichts anderes als Krieg und Konflikt im Nahen Osten. Bereits mit zwölf Jahren trat er dem von Daniel Barenboim und Edward Said gegründeten West Eastern Divan Orchestra bei – ein Friedensprojekt, das zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern besteht. »Der Krieg treibt mich in der Regel weiter in die Musik«, erklärt der 32-jährige Palästinenser, »denn sie ist eine Form des Menschseins.« Nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober letzten Jahres wusste er: »Das Eintauchen in die Klänge ist das Beste, was ich tun kann, um mit der düsteren Realität fertig zu werden. Musik versetzt mich in einen anderen Seinszustand, der sehr therapeutisch ist und mir Energie geben kann – sie ist ein Akt der Hoffnung. Auch wenn sie das Problem äußerlich nicht löst, kann sie innerlich Trost spenden, was für mich genauso wichtig ist.«

Jewgeni Kissin

Jewgenij Kissin
Jewgenij Kissin © Felix Broede

»Das schreckliche Massaker in Israel am 7. Oktober letzten Jahres, der derzeitige Krieg, den mein kleines Land gegen die bösen Mächte führt, die versuchen, es zu zerstören, und die schockierenden Gefühle vieler Menschen, die nicht mit den Opfern, sondern mit den Verbrechern sympathisieren, geben mir mehr denn je das Gefühl, dass ich mit meiner Kunst mein leidgeprüftes jüdisches Volk repräsentiere«, sagt der Pianist Jewgeni Kissin, der als Angehöriger der jüdischen Minderheit in der Sowjetunion aufgewachsen ist und heute auch die britische und die israelische Staatsangehörigkeit besitzt. »Ich möchte jedes Mal, wenn ich auf der Bühne stehe, eine klare Botschaft vermitteln: Mein Volk steht für das Licht, während diejenigen, die versuchen, uns zu vernichten, für die Dunkelheit, den Obskurantismus und das Böse stehen, das sie über die gesamte westliche Zivilisation verbreiten wollen.«

Waed Bouhassoun

Waed Bouhassoun
Waed Bouhassoun © François Guénet

2010 verließ die syrische Oud-Virtuosin, Sängerin und Wissenschaftlerin Waed Bouhassoun ihre Heimat, um in Frankreich Musikethnologie zu studieren. Nur ein Jahr später hinderte sie der Ausbruch eines brutalen Bürgerkriegs daran, in die Stadt zurückzukehren, in der sie die vergangenen zehn Jahre verbracht hatte: Damaskus – »meine zweite Mutter, an die ich jede Sekunde denke«, wie die 45-Jährige bekennt. In Paris lernte sie den Gambisten Jordi Savall und sein Ensemble Hesperion XXI kennen und fand damit eine »zweite Familie in Europa« sowie einen Ort, an dem sie ihre »Trauer musikalisch zum Ausdruck bringen und verarbeiten konnte«. Gemeinsam widmeten sie sich der reichen Tradition ihres Heimatlandes und hielten diese »Hommage an Syrien« auf einem Album fest. Denn seit Kriegsbeginn hat sich Bouhassoun zum Ziel gesetzt, mit ihrer Musik kulturelle Grenzen zu überwinden und »den Menschen in Europa zu zeigen, dass mein Land viel Schönes zu bieten hat.«

Illia Ovcharenko

Illia Ovcharenko
Illia Ovcharenko © Vere Music Fund

Im selben Jahr, in dem Illia Ovcharenko mit dem ersten Platz beim Honens-Klavierwettbewerb in Calgary den Grundstein für seine internationale Karriere legte, begann Russlands Angriffskrieg gegen sein Heimatland. »Anfangs hatte ich schlaflose Nächte und machte mir Sorgen um meine Familie, die noch im Norden der Ukraine lebt, und natürlich um mein geliebtes Land«, offenbart der 2001 in Tschernihiw geborene Pianist. Zwei Jahre später hat er vor allem einen Grund, auf den großen Bühnen der Welt aufzutreten: Er möchte seine Kultur repräsentieren. Er setzt die reiche und vielseitige Musik ukrainischer Komponisten wie Levko Revutsky und Valentin Silvestrov auf seine Programme, um sie einem breiten Publikum bekannt zu machen. »Die Musik ist meine Art, meine Stimme zu erheben und den Menschen in meinem Land zu zeigen, dass ich sie unterstütze – egal, wo sie sind, in der Ukraine oder vorübergehend außerhalb.«

 

Dieser Artikel erschien im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 2/24).

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