ADG7

Die Band ADG7 im Portrait

»You guys are crazy« – über die erfolgreiche K-Folk-Band ADG7

Text: Julika von Werder; 26.2.2024
 

Die Band ADG7 im »Tiny Desk Concert«, einem beliebten YouTube-Format aus Washington, D. C.: Nicht weniger als neun junge Menschen mit ausgefallenen Instrumenten und bunten Bühnenoutfits quetschen sich um den winzigen Schreibtisch des Radiomoderators Bob Boilen – ein seltener Anblick, der das enge Studio logistisch an seine Grenzen bringt. In der Video-Beschreibung liest man, die in Seoul ansässige Gruppe würde traditionelle Schamanen-Musik mit koreanischen Volksliedern kombinieren.

Auch der außergewöhnliche Name wird prompt erklärt: ADG7 ist die Abkürzung für »Ak Dan Gwang Chil«. »Ak Dan« heißt dabei einfach »Musikband«; »Gwang Chil«, oder verkürzt »G7«, steht für den 70. »Gwangbokjeol« – den Nationalen Tag der Befreiung Koreas von der Kolonialmacht Japan, den man am 15. August sowohl in Süd- als auch in Nordkorea feiert und zu dessen Anlass sich die Band 2015 gründete. Man könnte von dieser Gruppe also durchaus traditionelle koreanische Musik erwarten, inhaltlich eher politisch ausgerichtet.

Aber dann das: Als »Best Band in the wooorld« stellt die Frontsängerin Hong Ok die Band mit einem großen Strahlen in die Kamera vor; ihre zwei Kolleginnen stimmen überschwänglich ein, ehe sie sich bald ganz dem überraschend schnellen Beat der Begleit-Combo hingeben. ADG7, das wird schnell klar, liefern keine andächtige Darbietung alter Musiktraditionen, sondern Partymusik, wie man sie noch nie gehört zu haben meint.

Das Beste aus zwei Welten

Der einzigartige Feel-Good-Sound der neunköpfigen Band ist nicht leicht zu beschreiben: Für die K-Pop-Fans der aktuellen Teenager-Generation bietet sie zu viel Folk und ist vielleicht zu langsam – für historisch interessierte Zuhörer:innen ist das wohl viel zu viel Party. Positiv formuliert: ADG7 verbinden das Beste aus zwei Welten. Es sind poppige Beats mit Background, uralte Traditionen gut gelaunt in die Gegenwart übersetzt.

»Wir sind nicht einfach die K-Pop-Band, die deine kleine Tochter hört«, betont die Gruppe, die sich selbst eher im Folk-Pop verortet. »Unser Ziel ist, die koreanische Kultur und vor allem den Schamanismus so weiterzudenken, dass wir einen Sound und Live-Shows entwickeln, die ein Publikum von heute wegblasen.« Heißt: tanzbarer Pop, Hingucker-Instrumente mit außergewöhnlichen Klängen, einfache koreanische Texte und verführerisch transzendente Schamanismus-Musik. »Korean Psychedelic«, so fassen sie es zusammen.

»You guys are crazy«

Und der Bandname? Ist nicht Programm, wie die Musiker:innen im schriftlichen Interview betonen. Der nationale Feiertag sei nur der persönliche Anlass, die Gründung der Band nicht politisch motiviert gewesen. Das Spiel mit der Ziffer 7 und dem ausgesprochenen »Gwang Chil« ist ein kleiner Gag, die Kombination von Großbuchstaben und Ziffern unter den derzeit so erfolgreichen K-Pop-Gruppen nicht unüblich. »Diese Band ist nicht aus einer ernsthaften oder formellen Stimmung geboren«, beteuern die Musiker:innen. Das größte Kompliment, das man ihnen nach einer Show machen kann? Klare Antwort: »You guys are crazy.«

ADG7
ADG7 © Lee Jong Sam

Crazy hin oder her – ausgebildet sind alle Bandmitglieder in traditioneller koreanischer Musik, auch wenn sie privat schon immer vieles von den Beatles bis zu Coldplay gehört haben. Kennengelernt haben sie sich in dem auf traditionelle Musik spezialisierten Profi-Ensemble Jeong Ga Ak Hoe, und ihren fetzigen ADG7-Sound erzeugen sie ausschließlich auf den Instrumenten ihrer jahrhundertealten Kultur. Dazu gehören in der aktuellen Besetzung Hyun Soo Kims Bambusflöte, das traditionsreiche zentralasiatische Rohrblasinstrument Piri sowie zwei verschiedene Wölbbrett-Zithern.

Ganz besonders ins Auge sticht Hyang Hee Lees Mundorgel, mit deren 17 unterschiedlich langen Pfeifen die Musikerin einen unverkennbar durchdringenden Ton erzeugt. »Weil all diese Instrumente lange vor den modernen großen Konzerthäusern und vor allem lange vor unserem heutigen Sound-Equipment entstanden sind, war es nicht so einfach, ihren einzigartigen Klang richtig aufzunehmen oder zu verstärken«, erzählt der Bandleader Hyun Soo Kim.

ADG7
ADG7 © Lee Jong Sam

Comeback des Schamanen-Kults

Dass die Band den uralten Schamanen-Kult neu belebt, ist in Korea überhaupt keine Ausnahme, im Gegenteil: Schamanen-Rituale erleben in dem Hightech-Land seit geraumer Zeit ein veritables Comeback. Vielfältige, teils auch kommerzialisierte Angebote locken als Gegenprogramm zum modernen Alltagsstress. Viele suchen in verschiedenen Lebenslagen Zuflucht und Rat bei Schamaninnen oder Schamanen, die als Vermittler zwischen Diesseits und Jenseits, als Medium zwischen Himmel und Erde gesehen werden. Dazu gehören Wahrsagungen ebenso wie Tanz-Rituale oder die Vertreibung böser Geister. »Sie trösten und lindern den Schmerz eines Menschen durch bestimmte Rituale«, erklärt der Flötist Hyun Soo Kim. »Und so feiert auch unsere Musik das Zusammenleben. Wir singen und tanzen zusammen und erinnern uns daran, dass wir nicht allein sind. Wir werden eins durch Musik. Das ist unsere Mission.«

ADG7: »Such is Life«

Album anhören

ADG7
ADG7 ADG7 © Lee Jong Sam

Die traditionellen Schamanen-Rituale – sogenannte »gut« – variieren stark nach Region und Anlass. Die Musiker von ADG7 verwenden in ihrer Musik vor allem Riten, die ursprünglich aus dem heutigen Nordkorea stammen. »Im Vergleich zu anderen Regionen ist diese nordkoreanische Schamanen-Musik bekannt für ihren schlichten repetitiven Aufbau und ihre kraftvollen Percussion-Sounds«, erklärt die Sängerin Chorong Bang.

Sehnsucht nach Wiedervereinigung

Ob in der Hinwendung zur nordkoreanischen Kultur auch die Sehnsucht nach Wiedervereinigung anklingt? »Das ist der Wunsch aller Koreaner«, ist sie überzeugt. »Traditionelle Gesänge sind der Beweis dafür, dass Süd- und Nordkorea eine gemeinsame Sprache, dieselben Instrumente und Lieder verwendet haben – und dass wir eins sind. Unsere Musik heute besingt die Verbindung zwischen allen Wesen, unabhängig von Nationalitäten.« Ganz unpolitisch ist das dann vielleicht doch nicht. In jedem Fall ist es nicht ohne gesellschaftliche Relevanz, wenn sich eine südkoreanische Band mit nordkoreanischer Musik in die weite Welt aufmacht.

 

Dieser Artikel erscheint im Elbphilharmonie Magazin (2/24).

Mediathek : Weitere Beiträge

Alan Gilbert dirigiert Beethoven und Schönberg
Video abspielen

Video on Demand vom 3.5.2024 : Alan Gilbert dirigiert Beethoven und Schönberg

Unter der Leitung seines Chefdirigenten präsentiert das NDR Elbphilharmonie Orchester Schönbergs »Ein Überlebender aus Warschau« und Beethovens berühmte Neunte Sinfonie

Elbphilharmonie Innerview: Sean Shibe

Musik lebendig machen – hier und jetzt: Der Gitarrist Sean Shibe über sein Selbstverständnis als Künstler, über Programmgestaltung und ein Weiterdenken der klassischen Gitarre

Video abspielen

: Elbphilharmonie Sessions: Julia Hagen

Die junge Star-Cellistin Julia Hagen erfüllt das Elbphilharmonie-Parkhaus mit Musik von Sofia Gubaidulina