Das Klingende Mobil

Das Klingende Mobil: Auf großer Fahrt zu den Kleinen

Vollgepackt mit Geige, Pauke und Gitarre braust das Klingende Mobil von Kindergarten zu Kindergarten.

Ach, ihr seid das!« Die Pförtnerin der Laeiszhalle streckt den Kopf aus der Tür. »Heut wieder früh unterwegs?« Annegret Winkler winkt zurück und stapft, Cellokoffer unter dem Arm, hinaus in die Kälte. Der Parkplatz an der Rückseite des Hauses liegt um halb acht an diesem Januarmorgen noch völlig im Dunkeln. Nur aus dem geöffneten Künstlereingang dringt etwas Licht – und aus dem Laderaum eines Transporters, der hier steht. Wobei der Begriff »Transporter« dieses besondere Gefährt nicht annähernd beschreibt: Das Klingende Mobil ist bunt, auf seinen bedruckten Flanken tanzen kleine Männlein, spielen Geige und klettern auf einer übergroßen Trompete herum.

Aufbruch im Morgengrauen

Auch der Laderaum ist eine Spezialanfertigung. Eigens für den Instrumententransport ausgebaut, reihen sich hier Regale, Fächer, Haken und Spanngurte aneinander. Winkler hievt die Instrumente hinein, zuerst die großen Pauken und die Harfe, dann das Kleinzeug, am Ende die Transportkoffer. Zum Schluss wird alles festgezurrt, und mit Schmackes lässt Winkler die Schiebetür zuknallen. Bereit zur Abfahrt. Heutiges Ziel: der Kindergarten »Bethlehem« in Eimsbüttel.

Das Klingende Mobil
Das Klingende Mobil © Kathrin Spirk

Unterwegs in Hamburg

Annegret Winkler ist eine der Musikpädagoginnen, die im Einsatz der Elbphilharmonie mit dem Klingenden Mobil durch Hamburg fahren. In jeweils einstündigen Workshops bringt sie Kindergarten-Kindern die verschiedenen Instrumente eines Orchesters näher – mit echten Instrumenten zum Anfassen und Ausprobieren. Musik, wie sie am meisten Spaß macht: selbst gespielt. Auch Winkler hat schon im Kindergartenalter angefangen, Musik zu machen, zuerst Blockflöte, dann Klavier, Saxofon und Gesang, später Schlagzeug. »Ich hatte das Glück, früh mit Musik in Kontakt zu kommen«, sagt sie. Sie entschied, ihre Leidenschaft weiterzugeben, studierte in Rostock Gesang, Chorleitung und Musikpädagogik. Nach vielen Projekten als freie Pädagogin zog sie im Herbst 2017 für den Job an der Elbphilharmonie nach Hamburg.

Das Klingende Mobil
Das Klingende Mobil © Kathrin Spirk

Gründliche Vorbereitung

Die Kurse werden jeweils von zwei Pädagogen durchgeführt. Winkler ist heute zusammen mit Jonas Danielowski unterwegs. Er tippt noch schnell die Adresse ins Navi, schaltet die Scheinwerfer ein und startet den Motor. »Wir fahren zwar nur im Hamburger Stadtgebiet, aber selbst da ist man etwa bis Billstedt schon eine Weile unterwegs. Daher geht es immer schon im Morgengrauen los«, erklärt Winkler. »Das Ein- und Auspacken der ganzen Instrumente ist natürlich etwas aufwendig. Aber über Nacht können die Instrumente nicht im Mobil bleiben, dafür sind sie zu wertvoll. Außerdem würden sie sich bei fallenden Temperaturen verstimmen.«

»Wenn die ›Elbphilharmonie‹ und ›Klingendes Mobil‹ hören, rasten die immer völlig aus.«

Um kurz nach acht parkt das Klingende Mobil rückwärts vor dem Kindergarten »Bethlehem« ein. Erste neugierige Blicke und plattgedrückte Nasen am Kita-Fenster. Man wird erwartet und gleich am Eingang in Empfang genommen: »Oh ja, die freuen sich schon doll« – die Kinder, wohlgemerkt, aber auch die Eltern, wie die Kita-Leitung verrät. »Wenn die ›Elbphilharmonie‹ und ›Klingendes Mobil‹ hören, rasten die immer völlig aus.«

© Claudia Höhne

Die Schaltzentrale

Das Klingende Mobil ist äußerst gefragt, und seit der Eröffnung der Elbphilharmonie haben die Anfragen noch einmal zugenommen. Den Überblick über das wachsende Kursangebot hält Benjamin Holzapfel, der Leiter der Elbphilharmonie Instrumentenwelt. Im Klingenden Museum, dem Vorgänger der Instrumentenwelt, begann er 2008, selbst Workshops zu leiten. Er war dabei, als das Klingende Mobil 2009 ins Leben gerufen wurde, spielte mit seiner Band bei der Einweihungsfeier und fuhr später auch selbst in die Kitas. Heute sitzt er im Hintergrund und steuert das Geschehen aus der Schaltzentrale im Bauch des backsteinernen Kaispeichers der Elbphilharmonie.

Benjamin Holzapfel in der Instrumentenwelt
Benjamin Holzapfel in der Instrumentenwelt © Kathrin Spirk

500 Musikinstrumente

In der Instrumentenwelt liegt eine beachtliche Sammlung von über 500 Musikinstrumenten. Und die werden fleißig genutzt: Im ersten Jahr haben 18.000 Schüler und Erwachsene an den Workshops in den Kaistudios teilgenommen. Die Kurse vor Ort machen damit den größten Teil des Instrumentenwelt-Angebots aus. Dennoch ist das Klingende Mobil als mobile Einheit äußerst wertvoll. Neben den Kitas ist es auch regelmäßig in Stadtteilzentren zu Gast. »Diese Idee, das Angebot hinaus in die Stadt zu tragen, wird sehr gut angenommen«, so Holzapfel, »wir werden in Zukunft sogar noch öfter fahren. Zudem überarbeiten wir gerade das Konzept: Wir wollen die Workshops mit unserer jetzt fast 10-jährigen Erfahrung auch inhaltlich weiterentwickeln, ohne dabei die Grundidee aufzugeben.«

Achtelgeigen und Tübchen

Zurück nach Eimsbüttel: Während die Kinder noch im Nebenraum basteln, beginnen Jonas Danielowski und Annegret Winkler, die Instrumente aufzubauen. Auf die Tische werfen sie große blaue Tücher, die ein bisschen an eine Zaubershow erinnern: »Dadurch merken die Kinder schon wenn sie reinkommen, dass das etwas Besonderes ist«, erklärt Danielowski. »Die Instrumente sind ja auch wertvoll, wir sagen das gleich am Anfang: Das hier ist kein Spielzeug.« Auch wenn es fast so aussieht. Die meisten der 25 Instrumente, die heute zum Einsatz kommen, sind kleinere, an Kinderhände angepasste Versionen. Viertel- und Achtelgeigen, halbe Gitarren, die liebevoll »Tübchen« genannte kleine Tuba. Die Trommeln und Pauken sind Originalgrößen, so viel Spaß muss sein.

Elbphilharmonie Instrumentenwelt

Ob Kontrabass, Trompete oder Gamelan: Hier kann man in vielfältigen Workshops in die Welt der Musik eintauchen.

None © Claudia Höhne
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None © Claudia Höhne
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Eine ungeahnt große Faszination

Danielowski ist gespannt, wie die Gruppe sein wird. »Das ist das Schöne an diesem Job: Wir wissen nie, was uns erwartet.« Und das gilt sowohl in Bezug auf die Kinder – »die reagieren jedes Mal anders und vor allem ehrlich« – als auch auf die Kindergärten: »Manche sind winzig klein, aber wahnsinnig herzlich, manche groß, super ausgestattet, aber kühl.«

Seit zehn Jahren schon macht Danielowski den Job. Er hat in dieser Zeit über 400 Kindergärten gesehen und vielen Tausenden Kindern Instrumente näher gebracht – und auch Erwachsenen, bei den Kursen im Klingenden Museum in der Laeiszhalle. »Ein schönes Gefühl, zu wissen, dass man bei manchem etwas auslöst. Einmal kam eine Frau an der Bushaltestelle auf mich zu und meinte ›Sie sind doch der aus dem Klingenden Museum? Ihretwegen hab ich angefangen, Posaune zu spielen.‹« Ein Instrument in der Hand zu halten, selbst Töne zu erzeugen, das schafft bei vielen eine ungeahnt große Faszination. Auch bei kleinen Kindern, und selbst bei solchen, denen man es zunächst nicht zutraut: »In den Kitas gibt es manchmal so kleine Rookies, die erst einen auf Dicken machen und dann nachher ganz träumerisch an der Harfe sitzen. Es macht schon immer Spaß, das zu beobachten.«

© Claudia Höhne

Märchen und Musik

Dann ist es neun Uhr: Die Rookies treten ein. Mit großen Augen begutachten sie die glänzenden Pauken. Doch bevor darauf gespielt wird, erzählt Danielowski erst einmal ein kleines Märchen. Es handelt von einem Zwergenkönig, dessen Tochter von einem Riesen entführt wurde. Erst versucht die Hexe, sie zu befreien, und scheitert; dann kann der kleinste und mutigste Zwerg den Riesen mit einer List überwinden. Die jungen Zuhörer sind aufmerksam dabei und machen lauthals mit, als es darum geht, das grollende Lachen des Riesen nachzuahmen, den wilden Besenritt der Hexe, das verschmitzte Kichern des Zwergen-Helden.

Klingendes Mobil: Jonas Danielowski assistiert beim Kontrabass-Spielen
Klingendes Mobil: Jonas Danielowski assistiert beim Kontrabass-Spielen © Kathrin Spirk

Riese, Zwerg, Trommel und Pauke

Die Figuren aus dem Märchen ziehen sich anschließend wie ein roter Faden durch den Workshop: An den Djembé-Trommeln wird die Suppe des Riesen aus der Geschichte nachgekocht. »Hun-dert-Stück-Kar-tof-feln« lassen die Kinder im Rhythmus in den Topf fallen, dann »Zwei-hun-dert-Stück-Brok-ko-li«. Mit einem Paukenwirbel pustet der Riese die Hexe weg. Auf Kontrabass und Cello sprechen der Riese und der Zwerg. Zu jedem Instrument gibt es eine Geschichte, mit jeder Klangfarbe entsteht ein neues Bild im Kopf. Manche Kinder bewerten fachmännisch, was sie hören (»Der ist besser, der ist tiefer«), manche fassen die Instrumente ganz vorsichtig an, manche springen wie wild im Kreis herum (»Darf iiiich als Erstes?«).

Ein erster Kontakt mit Musik

»Es geht hier nicht darum, dass die Kinder ein Instrument lernen«, sagt Annegret Winkler. »Wir wollen einen ersten positiven Kontakt mit dieser Welt herstellen.« Manche Kinder kennen diese Welt schon: »Mein Vater hat eine Trompete«, erklärt ein Junge nach einer halben Stunde wie aus dem Nichts. Ein anderer verrät: »Zu Hause hab ich ein Keyboard. Hab ich zu Weihnachten bekommen.« Ein kleines Mädchen nimmt schon Geigenunterricht und spielt während des Workshops etwas vor. »Da gibt es schon Unterschiede, klar, manche Eltern fördern ihre Kinder ja gezielt. Auch in manchen Kindergärten wird zusammen gesungen oder Musik gemacht«, sagt Winkler, »aber eben nicht überall. Es gibt auch Kinder, die keinen Zugang dazu haben. Daher ist dieses Angebot so wichtig.«

»Es geht hier nicht darum, dass die Kinder ein Instrument lernen. Wir wollen einen ersten positiven Kontakt mit dieser Welt herstellen.«

Jonas Danielowski vom Klingendes Mobil
Jonas Danielowski vom Klingendes Mobil © Claudia Höhne

Langfristige Wirkung

Um möglichst viele Kindergärten zu erreichen, wurde mit der Überführung des Klingenden Mobils in die Struktur der Elbphilharmonie die Kursgebühr abgeschafft. Statt 200 Euro zahlen die Kitas heute lediglich eine Schutzgebühr von 20 Euro. Das baut Hürden ab, für die Kitas in Eimsbüttel und noch mehr für die in Billstedt, Steilshoop und Jenfeld. »Oft treffen wir auf Kinder, die gar keine Vorstellung davon haben, die noch nie eine Tuba gesehen oder gehört haben. Wenn die dann reinpusten und es kommt ein Ton raus, bleiben sie erst mal staunend davor stehen«, erzählt Danielowski. Er sieht die Workshops auch als Mission: »Ein Instrument zu spielen ist etwas Besonderes – aber es ist kein Privileg. Das wollen wir in die Köpfe kriegen.« Dass die Workshops langfristigen Eindruck hinterlassen, können die Erzieher bestätigen. Spätestens wenn einige Tage später plötzlich ein Kind von seinem Malbild aufsieht und zufrieden verkündet: »Ich hab’ schon mal Geige gespielt.«

Text: Fränz Kremer, Stand: 10.4.2018

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