Christina Pluhar

5 Fragen an Christina Pluhar

Die österreichische Lautenistin über ihre Faszination für Alte Musik und wie es gelingt, sie ganz modern klingen zu lassen.

So überzeugend wie Christina Pluhar hat noch kaum jemand die Alte Musik entstaubt. Die österreichische Musikerin wandert zwischen Jazz und Barock, südeuropäischer Volksmusik und atmosphärischen Renaissance-Klängen – frei von jedem Akademismus und trotzdem wissenschaftlich fundiert. Im Interview spricht die Lautenistin, Dirigentin und Arrangeurin über ihre Liebe zur Alten Musik und über die Kunst der Improvisation.

Christina Pluhar live

am 13. April 2022 in der Elbphilharmonie

01

Was fasziniert Sie besonders an der Alten Musik?

Ihre Schönheit! Die klaren Strukturen, die schönen Harmonien, die enge Textverbundenheit, die Klangschönheit der Instrumente und nicht zuletzt die Freiheit, die uns diese Musik gibt, zu improvisieren, zu instrumentieren, durch Klangfarben und künstlerische Freiheit seine eigene Interpretation zu finden.

02

Sie entdecken immer wieder auch bislang unbekannte Kompositionen. Wo spüren Sie diese Werke auf?

Ein Teil meiner künstlerischen Arbeit besteht aus Recherche. Ich durchstöbere Archive und Bibliotheken auf der Suche nach Werken, die dort seit Jahrhunderten unbeachtet schlummern. Es ist sehr aufregend, wenn man auf Meisterwerke stößt. Der andere Teil der künstlerischen Arbeit besteht darin, diese Werke so schön wie möglich zu interpretieren und dem heutigen Publikum nahezubringen. Denn Musik auf Manuskripten und alten Drucken lebt nicht, sie wird erst durch die Interpreten von heute wieder zum Leben erweckt.

03

»Wenn ich in die Vergangenheit reisen könnte? Dann würde ich nach Venedig fahren, zu Zeiten Claudio Monteverdis und Francesco Cavallis ...«

Christina Pluhar

Wie viel steht fest, wenn Sie und Ihr Ensemble die Bühne betreten?

Das hängt ganz von den Werken ab, die wir spielen. Mozart schreibt in seinen Stücken bereits Dynamik, Instrumentierung und Klangfarben vor. In älteren Noten aus dem 17. Jahrhundert gibt es jedoch meist nur wenige Anhaltspunkte für die Interpretation. Eine reiche Verzierungspraxis war damals eine Selbstverständlichkeit für alle Sänger und Musiker. Der Basso Continuo (Anm. d. Red.: bezifferte Bassstimme, die der Interpret während des Spielens mit Harmonien auffüllt) wird immer improvisiert. Seine Instrumentierung und die der Melodiestimmen sind allerdings meist dem Interpreten überlassen – zum Beispiel, ob eine Instrumentalstimme mit einem Zink oder einer Geige besetzt wird.

Christina Pluhar Christina Pluhar © Marco Borggreve

»Improvisation ist von immenser Bedeutung. Sie gibt uns die Freiheit, die Alte Musik ins Jetzt zu holen.«

Christina Pluhar

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Welche Rolle spielt Improvisation?

Für die Interpretation der Musik des 17. Jahrhunderts ist Improvisation von immenser Bedeutung. Sie gibt uns die künstlerische Freiheit, die Alte Musik ins Jetzt zu holen. Der Musiker von heute ist nicht mehr nur Interpret einer Komposition, sondern bringt sich selbst, sein Können und seine Kunst in die Aufführung mit ein. Er kann viel direkter mit dem Publikum kommunizieren. Selbstverständlich müssen die Musiker von heute erst die musikalische Sprache der Musik des 17. Jahrhunderts lernen. Je besser man diese beherrscht, desto besser kann man sich ausdrücken und kommunizieren.

05

An Ostern gastieren Sie 2022 mit Ihrem Ensemble L’Arpeggiata und dem Programm »Via Crucis« (Kreuzweg) in der Elbphilharmonie. Worum geht es in dem Projekt?

Die gesamte Musik von »Via Crucis« basiert auf Texten, die von der Passion Jesu Christi handeln – ein wichtiges Thema in der Alten Musik. Nehmen wir Tarquinio Merulas Komposition »Hor che tempo di dormire« (Nun, da Zeit zum Schlafen ist): Maria singt darin ein Wiegenlied für ihr Neugeborenes. Durch das Schaukeln der Wiege, symbolisiert durch stetig wiederholte Figuren in der Bassstimme, verfällt sie in Trance. Sie schwankt zwischen der liebevollen Betrachtung ihres Neugeborenen und Visionen seines zukünftigen Leidens. Sie betrachtet die kleinen Hände und Füße, die in ihrer Vision schon von Nägeln durchbohrt werden.

Es ist also ein tiefsinniges, kontemplatives Programm, das aber mit der Freude über die Auferstehung endet.

 

Interview: Julika von Werder, Stand: 23.3.2022

Christina Pluhar über Händel

»Seine harmonischen Sequenzen werden heute oft in der Pop-Musik verwendet«.

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