Magdalena Kožená

Magdalena Kožená im Portrait

Von Barock bis Cole Porter, in Hosenrollen oder als blutrünstige Rachegöttin – die tschechische Mezzosopranistin ist eine wahre Verwandlungskünstlerin.

Text: Julika von Werder, 01.08.2023
 

Trotz warmer Weste und Sakko

»Das Unangenehmste an Hosenrollen ist, dass Männer auf der Bühne immer so furchtbar viel anhaben: Unterhemd, Hemd, Weste, Sakko – das ist einfach viel zu warm!«, sagt Magdalena Kožená im Telefoninterview und lacht. Da kann man nur staunend mitlachen: Wenn das ihr größtes Problem ist, dann muss es diese Sängerin einfach draufhaben. Und das hat sie: Trotz warmer Weste und Sakko wird die 1973 im tschechischen Brünn geborene Mezzosopranistin seit vielen Jahren nicht zuletzt auch für anspruchsvolle Parade­rollen dieses Faches gefeiert, etwa als Oktavian in Richard Strauss’ »Rosenkavalier«.

Kožená ist sehr konzentriert in diesem Telefonat. Sie antwortet ausführlich, aber nicht ausschweifend. Ihre Formulierungen wirken nicht so, als hätte sie sie schon oft gebraucht. Sie ist ganz bei der Sache.
 

»Da gibt es mehr, als man in 40 Jahren aktiver Karriere überhaupt schaffen kann.«


Ob sie sich zwischendurch alle Hosenrollen weg­wünscht oder doch lieber Sopranistin geworden wäre? »Wenn, dann nur, um einmal Janáčeks Káťa Kabanová singen zu können«, antwortet sie prompt, »aber ansonsten über­haupt nicht. Ich liebe die vielseitigen Mezzo-­Partien. Da gibt es mehr, als man in 40 Jahren aktiver Karriere überhaupt schaffen kann.«

Durch die Jahrhunderte und Stile

Tatsächlich umfasst das Repertoire für die mittlere Frauenstimme zwischen Sopran und Alt ein beispiellos breites Spektrum von pubertierenden Jünglingen bis zu reifen Frauen. Viele Sängerinnen spezialisieren sich, machen sich entweder in leichtfüßigen Hosenrollen einen Namen oder als Grande Dame, bleiben im Barock oder schlagen den Weg in Richtung der dramatischen Mahler­-Partien ein. Nicht so Magdalena Kožená: »Mir würde das wahrscheinlich einfach zu langweilig werden«, gibt sie zu. Und sieht das nicht nur als eine künstlerische Entschei­dung, sondern als Charaktersache. Sie sei eben ein Mensch, der gerne viel ausprobiert und stets neue Herausforde­rungen sucht, erklärt sie bescheiden und sachlich, keines­falls übermütig oder prahlerisch.

Und so wandelt sie durch die Jahrhunderte und Stile: An der Met sang sie Mozarts liebestollen Cherubino ebenso wie Debussys scheue Mélisande; in Salzburg brillierte sie als verführerische Carmen, in Aix-­en-­Provence in Kaija Saariahos neuer Oper »Innocence«; auf der Konzertbühne begeisterte sie in Mahlers »Lied von der Erde« mit warmer Stimme und mit barockem Feingefühl in Bachs Passionen sowie – auch in der Elbphilharmonie – in Händels »Alcina«. Wer sich ein bisschen mit Stimmbildung befasst, könnte meinen, diese Frau müsste sich alle paar Wochen umtrainieren und ihre Stimme immer wieder an andere technische Anforderungen an­passen. Eine Verwandlungskünstlerin ist sie allemal.

Magdalena Kožená in Händels »Alcina« in der Elbphilharmonie, Februar 2023
Magdalena Kožená in Händels »Alcina« in der Elbphilharmonie, Februar 2023 © Daniel Dittus

Und es geht noch weiter: Zwischen ihren unzähligen klassischen Alben taucht plötzlich Cole Porter in der Reihe von Koženás Aufnahmen auf. »Ich habe mich schon als Studentin in die Songs von Cole Porter verliebt«, sagt sie. Kein Wunder also, dass sie Jazz­-Legenden wie Ella Fitzgerald, Billie Holiday und Peggy Lee zu ihren größten Vorbildern zählt. Im Rahmen ihrer Residenz brachte sie die Evergreens aus dem American Songbook 2016 auch in Hamburg auf die Bühne. Das »Hamburger Abendblatt« fand das höchstens »sonderbar«; das Publikum feierte den überraschenden Exkurs.

 

Magdalena Kožená singt Cole Porter

Jetzt reinhören!

None
None

Auf der Bühne mit Ehemann Sir Simon Rattle

Magdalena Kožená ist seit vielen Jahren regelmäßig an der Elbe zu Besuch, schon mehrfach auch zusammen mit ihrem Ehemann, Sir Simon Rattle. Der setzt sich für sie sogar manchmal ans Klavier – sehr seltene und besondere Chancen, den Dirigenten an den Tasten zu erleben. Ob es einen Unterschied macht, wenn er sie vom Klavierhocker statt vom Pult aus begleitet? »Ja, klar«, lacht Kožená, »denn als Klavierbegleiter muss er mir wirklich einfach mal folgen.«

Magdalena Kožená und Sir Simon Rattle
Magdalena Kožená und Sir Simon Rattle © Julia Wesely

Rachsüchtige Titelpartie

Im November 2023 kommen die beiden mit Marc-­Antoine Charpentiers »Médée« zurück in die Elbphilharmonie. In der Titelpartie verkörpert Kožená eine verzweifelt eifersüchtige Ehefrau, die aus Rachsucht nicht nur ihre Neben­buhlerin, sondern auch die eigenen Kinder tötet. »Auch wenn die Geschichte unglaublich grausam ist, mag ich diese Rolle sehr. Mir fällt kaum eine andere Partie ein, in der man so viele verschiedene und intensive Emotionen abbilden kann«, meint die Sängerin.

Ihren ersten großen Erfolg als Médée feierte sie 2015 am Theater in Basel: »In jedem Wort, in jeder Geste ist starke Emotionalität«, jubelte damals eine Schweizer Kritik, »Kožená entfaltet die ganze Palette an Klangfarben des Zorns.« Ihre eigenen Erinnerungen an diese Darbietung: »Es war eine sehr naturalistische Inszenierung von Nicolas Brieger, und es war viel Theaterblut im Spiel. In der Szene mit dem Kindsmord habe ich immer die Eltern am Rande der Probe gesehen und dachte mir: ›Ooooh sorry, das ist jetzt sicher kein schöner Anblick‹«. Sie lacht noch heute, wenn sie daran denkt. So furchteinflößend ihr Zorn auf der Bühne, so bestechend ist ihr Humor neben der Bühne.

»An New York, Wien oder Paris hätte ich niemals auch nur gedacht.« :Aus dem Kinderchor im tschechischen Brünn auf die Weltbühne

Auch sie war einst ein Kind auf der Opernbühne, sang im Kinderchor in Brünn, wo sie zum ersten Mal die einzigartige Luft der Theaterwelt schnuppern durfte. Auch sie hatte große Träume, die damals jedoch nicht über die Grenzen ihrer Heimatstadt hinausreichten – vor allem, weil sie hinter dem Eisernen Vorhang großgewor­den ist: »Für mich war eine Karriere an der Oper in Brünn lange Zeit alles, wovon ich geträumt habe. An die Metropolitan Opera, an Wien oder Paris hätte ich niemals auch nur gedacht.« Magdalena Kožená stammt nicht aus einer Musikerfamilie, sondern wuchs als Kind eines Mathematikers und einer Biologin auf.

In Berührung mit Musik ist sie im Kindergarten gekommen: Ihre Erzieherin spielte Klavier und zog das kleine Mädchen damit vollständig in den Bann. »Ich weiß noch genau, wie ich sie beobachtet habe und einfach sofort wusste, dass ich genau das auch mal machen will.« Ihre Eltern nahmen diesen Wunsch ernst, ermöglichten ihr Klavierunterricht – »und gesungen habe ich sowieso schon immer«, erzählt sie.

Eine Art Wunder

Ihr Teenager-­Traum, Pianistin zu werden, erlitt auf dem Weg zur Aufnahmeprüfung allerdings zunächst einen Dämpfer, weil sie sich die Hand brach. Also entschied sie sich kurzerhand, stattdessen erst einmal für ein Gesangsstudium vorzusingen. Zu ihrer eigenen Überraschung wurde sie angenommen. Diese vielzitierte Geschichte wird in der Klassik­welt gerne als wegweisender Schicksalsschlag interpretiert, doch Kožená winkt schmunzelnd ab: »Ich habe mir halt die Hand gebrochen, wie sich viele Kinder mal die Hand brechen. Die Klavier­-Aufnahmeprüfung habe ich ein Jahr später nachgeholt und dann einfach beides studiert«, sagt sie.

Erst später musste sie sich dann wirklich entscheiden und blieb beim Gesang. Die scheinbar unüber­windbare Grenze zwischen Ost und West zerfiel, in den europäischen Nachbarländern wurde man bald auf die junge Sängerin aufmerksam. Sie gewann ein paar Preise, gab aufsehenerregende Debüts, bekam einen Plattenvertrag bei der Deutschen Grammophon und landete schneller an der Weltspitze, als sie es selbst realisieren konnte. Heute nennt sie das »eine Art von Wunder«, für das sie ehrlich dankbar ist.

Magdalena Kožená / Sir Simon Rattle: »Mein lieber Heiland, du« aus Bachs »Matthäus-Passion«

Zuhause bei Familie Kožená-­Rattle

Mit Simon Rattle hat Magdalena Kožená inzwischen drei Kinder, 18, 14 und 8 Jahre alt; gemeinsam leben sie in Berlin. »Kinder zu kriegen, hat für mich alles in neue Rela­tionen gesetzt. Es gibt einem ein ganz anderes Gefühl dafür, was im Leben zählt«, sagt sie. Wie sich Karriere und Familie verbinden lassen? »Das ist natürlich nicht leicht. Wir haben die Kinder oft einfach mitgenommen.« Von ihnen getrennt zu sein, mag Kožená überhaupt nicht; es ist ihr wichtig, als Mutter wirklich da zu sein.

Wer sich nun vorstellt, im Hause Kožená-­Rattle gäbe es ein aktives Familien­-Ensemble, das die ganze Zeit Kammermusik spielt, liegt allerdings falsch. Alle drei Kinder lernen zwar Instrumente, aber eher als Hobby; und gemeinsam zu musizieren oder gar Unterricht bei den Eltern zu bekommen, »das gäbe nur Streit«, sagt die Sängerin belustigt.

Dass die drei keine Musikerkarriere anstreben, erleichtert sie fast: »Ich glaube, es wird immer härter in dieser Branche, und außerdem ist es wahr­scheinlich auch nicht ganz einfach, immer als Sohn von Sir Simon Rattle unterwegs zu sein.« Wirkliche Klassikfans sind ihre Kinder bisher sowieso nicht – »aber ich zwinge sie schon immer mal wieder, ins Konzert zu kommen«, erzählt Kožená. Und was hält der Nachwuchs davon, was die berühmten Eltern so treiben? »Wir machen Fortschritte. Neulich meinte der Älteste sogar, es war ganz okay.« In ihrer Stimme hört man ein großes Schmunzeln.


Dieser Artikel erschien im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 3/23).

Mediathek : Weitere Beiträge

Video abspielen

: Elbphilharmonie Sessions: Pablo Barragán

Für eine ganz besondere »Elbphilharmonie Session« bringt Weltklasse-Klarinettist Pablo Barragán das Hamburger Mahnmal St. Nikolai zum Klingen.

Krieg und Frieden in der Musik

Wie spricht Musik vom Krieg? Und wie klingt Frieden? Ein Essay.

Alan Gilbert dirigiert Beethoven und Schönberg
Video abspielen

Video on Demand vom 3.5.2024 : Alan Gilbert dirigiert Beethoven und Schönberg

Unter der Leitung seines Chefdirigenten präsentiert das NDR Elbphilharmonie Orchester Schönbergs »Ein Überlebender aus Warschau« und Beethovens berühmte Neunte Sinfonie