Jakub Hrůša

Interview mit Jakub Hrůša

Der in Brünn geborene Dirigent über sein tschechisches Erbe, den unerklärlichen böhmischen Klang und die Kunst des Loslassens.

Es war zuletzt eine der spannendsten Berufungen im internationalen Musikbetrieb: Im September 2025 wird Jakub Hrůša neuer Musikdirektor des Royal Opera House Covent Garden in London (in Nachfolge von Antonio Pappano, der dann 23 Jahre lang in diesem Amt gewesen sein wird). Spannend – und durchaus ein wenig überraschend – ist diese Wahl auch deswegen, weil der 1981 im tschechischen Brünn geborene Hrůša vor allem im sinfonischen Repertoire zu Hause ist, zumindest bislang eher selten Oper dirigiert hat. Einen Namen hat er sich vor allem als Chefdirigent der Bamberger Symphoniker gemacht, deren internationales Renommee er entscheidend vorantreiben konnte. Seit 2016 ist er in Oberfranken; die sprichwörtliche Chemie stimmte offensichtlich so gut, dass sein Vertrag vorzeitig bis 2026 verlängert wurde. Vielleicht auch, weil die tschechischen Wurzeln des Dirigenten gut zur Geschichte des Orchesters passen, das sich 1946 aus Mitgliedern des Deutschen Philharmonischen Orchesters Prag und anderen, vom Krieg aus ihrer böhmischen Heimat vertriebenen Musikern gegründet hat. In der Saison 2023/24 kommt Hrůša gleich dreimal mit seinen Bambergern in die Elbphilharmonie – sowie einmal mit dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia (dem, nebenbei, Antonio Pappano ebenfalls fast 20 Jahre lang vorstand).

 

Jakub Hrůša und die Bamberger Symphoniker mit Mozarts »Don Giovanni« in der Elbphilharmonie
Jakub Hrůša und die Bamberger Symphoniker mit Mozarts »Don Giovanni« in der Elbphilharmonie © Claudia Höhne

 

Es scheint richtig gut zu passen bei Ihnen und den Bamberger Symphonikern. Warum ist das eine so gute Zusammenarbeit mit dem Orchester?

Diese Frage habe ich mir nie stellen müssen, wir verstehen uns einfach. Und ich genieße das sehr, das ist ja viel besser, als sich fragen zu müssen, warum etwas nicht funktioniert.

Ist das ein musikalisches Verständnis? Ein gutes menschliches Auskommen?

Beides! Es gab von Anfang an eine gemeinsame Ebene, wir haben uns nie finden müssen. Und wir haben uns auch zu einem guten Zeitpunkt getroffen. Ich habe das Gefühl, dass ich im besten Sinn mit diesem Orchester reifen konnte. Und das Orchester wiederum schätzt, was ich mit ihm ausprobiere und welche Impulse ich gebe. Ich glaube, wir sind uns auch kulturell irgendwie ganz nah, vielleicht auch wegen der besonderen Geschichte des Orchesters.

Sie sind der erste tschechische Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, die eine deutsch-böhmische Vergangenheit haben. Bedeutet dieser gemeinsame kulturelle Hintergrund etwas für Sie, oder spielt er eher keine Rolle?

Es spielt eine Rolle für das Profil und das Marketing, allerdings eine ganz natürliche und keine künstlich gemachte. In der alltäglichen Arbeit spielt es jedoch keine Rolle, denn wir beschäftigen uns mit Musik und nicht mit Geschichte. Aber natürlich geht es auch in der musikalischen Welt darum, auf sich aufmerksam zu machen und sich zu verkaufen. Ob das nun negativ oder positiv ist, lasse ich mal unkommentiert. Und in diesem Sinne hilft uns unsere gemeinsame Vergangenheit, uns mit einer interessanten Geschichte zu präsentieren. Man spricht etwa über den böhmischen Klang. Wir spüren alle, dass wir ihn haben, und schätzen ihn. Aber niemand im Orchester weiß, was genau das ist. Es ist nicht leicht in Worte zu fassen, aber das musikalische Ohr hört gleich heraus, dass die Bamberger Symphoniker einen spezifischen Klang haben. Ich möchte allerdings nicht explizit darüber sprechen.

 

 

Bamberger Symphoniker: Brahms & Dvořák

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Bamberger Symphoniker
Bamberger Symphoniker Bamberger Symphoniker © Andreas Herzau

Ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn ich doch nachfrage, was diesen spezifischen Klang ausmacht?

Ich glaube, man sollte sich gar keinen besonderen Klang vorstellen, sondern dem Orchester einfach aufmerksam zuhören. Aber wenn Sie mich nach Besonderheiten des Orchesters fragen, sind das ein Mangel an Ego, Freundschaft zueinander, Bescheidenheit und Respekt gegenüber der Musik mit all ihren Facetten. Kombiniert mit der Qualität der besten Musiker, die man sich vorstellen kann. Einen spezifischen Klang haben die Bamberger Symphoniker, würde ich sagen, ein bisschen eher in den Streichern. Der Bläsersatz klingt ganz ähnlich zu dem, was wir sonst in Deutschland oder den deutschsprachigen Ländern kennen. Die Farbe der Streicher allerdings ist ein bisschen dichter, intensiver. Manche sprechen auch von einem dunklen Klang, obwohl das nur eine Metapher ist, denn in der Musik gibt es kein Dunkel oder Hell. Für mich kommt aber auch noch die große Homogenität im Ensemblespiel dazu, weil hier in Bamberg das Menschliche und das Berufliche in einer harmonischen Balance sind. Es ist sozusagen eine Vergrößerung der Kammermusik. Und Kammermusik kann man nur machen, wenn man eine enge Verbindung zueinander hat.

Zum einen sprechen wir oft vom spezifischen Klang eines Orchesters, zum anderen soll heute jede Epoche stilistisch »authentisch« klingen, Mozart also anders als Bruckner.

Natürlich hängt der Klang eines Orchesters auch davon ab, welches Repertoire es gerade spielt. Man sagt zum Beispiel, dass die Bamberger besonders »böhmisch« klingen, wenn wir Schubert, Bruckner oder Mahler spielen. Das liegt auch daran, dass ich als Tscheche diese Tradition auch irgendwie unbewusst in mir trage und ausstrahle. Und das Orchester nimmt diesen Impuls dann dankbar auf. Allerdings muss ich ganz klar sagen: Ich setze mir das nicht bewusst zum Ziel, wenn ich dirigiere. Ich beschäftige mich intensiv mit der Partitur des konkreten Stücks, das ist für mich der Anfang und auch das Ziel: die Partitur mit all ihrer Komplexität bestmöglich in Musik zu übersetzen.

Sie werden immer wieder als Perfektionist bezeichnet. Stimmt das denn?

Leider ja. Denn Perfektionist zu sein bedeutet, dass man nie zufrieden sein kann. Weil es wahre Perfektion nicht gibt. Ich habe aber gelernt, mit dieser Limitierung zu leben und das musikalische Ergebnis trotzdem zu genießen: zu akzeptieren, dass ein »unperfektes« Konzert trotzdem wertvoll sein kann.

 

Jakub Hrůša Jakub Hrůša © Andreas Herzau

»Manchmal ist es besser, nicht zu viel zu wissen und sich einfach zu öffnen und zu genießen.«

Jakub Hrůša

Ihre Orchestermusiker sagen über Sie, dass Sie in den Proben intensiv an kleinen Details arbeiten, im Konzert der Musik aber trotzdem die Möglichkeit lassen, sich spontan zu entfalten. Ist das so?

Für mich ist das der einzige Weg, wie man Musik machen sollte. Die Probe ist dafür da, dass man sich orientiert, ausprobiert und analysiert, was man verbessern könnte. Aber wenn diese analytischen Aspekte im Konzert zu präsent werden, kann es für das Spiel des Orchesters und damit auch für das Publikum lähmend werden. Die Proben sind also gar nicht für das Publikum bestimmt, auch wenn sie heute oft öffentlich sind. Man nimmt sich damit ein bisschen die Freude am Konzert. Natürlich ist es gut, informiert zu sein, deshalb führen wir ja auch gerade dieses Gespräch. Aber manchmal ist es besser, nicht zu viel zu wissen und sich einfach zu öffnen und zu genießen – ohne Kenntnis, aber mit Gefühl. Wenn noch ein Geheimnis bleibt, vergrößert das manchmal die Schönheit der Erfahrung im Konzert.

Welche Rolle spielt ganz allgemein Ihre tschechische Herkunft für Sie als Dirigent?

Ich bin stolz, dass ich ein Teil dieser Tradition bin, aber ich bin genauso stolz, dass ich meinen Erfolg nicht nur auf dieser Tradition aufbauen konnte, sondern durch ein, sagen wir, breiteres Tor gegangen bin. Mir kommt da Rafael Kubelík in den Sinn, um einen großen Namen der Vergangenheit zu nennen: Seine Aufnahmen tschechischer Werke sind hervorragend, er war aber auch im zentraleuropäischen Repertoire zu Hause. Es gibt einen Ursprung, dort sind wir zu Hause, aber dann nimmt uns das Leben mit und führt uns an andere Orte. Trotzdem gibt es irgendwie diese Gravitas, mit der wir uns identifizieren. Und das ist für mich von Anfang an Tschechien. Auch wenn ich manchmal dagegen ankämpfe, um nicht in eine Schublade gesteckt zu werden. Das ist für niemanden angenehm.

Wo fühlen Sie sich nicht ganz so zu Hause?

Ein Beispiel wäre Jean Sibelius, dessen Musik ich zwar sehr mag, von der ich aber nicht behaupten würde, dass sie ein Schwerpunkt in meinem Repertoire ist. Das gilt auch für Claude Debussy, George Gershwin und Benjamin Britten. Allerdings sind solche Aussagen immer ein bisschen heikel, weil sie so verstanden werden können, dass ich diesen Komponisten reserviert gegenüber stünde. Das ist überhaupt nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Wenn ich einmal Debussy, Britten oder Sibelius dirigiere, genieße ich das womöglich noch mehr als jemand, der das regelmäßiger tut als ich. Aber natürlich bin ich bei Smetana oder Janáček ein bisschen mehr zu Hause.

 

Jakub Hrůša und die Bamberger Symphoniker spielen Bedřich Smetanas »Má vlast« (»Mein Vaterland«)

 

Schauen wir auf die Programme, die Sie in Hamburg dirigieren werden. Gleich in mehreren Konzerten spielt der Tanz eine prominente Rolle, zum Beispiel in Beethovens 7. Sinfonie, die Richard Wagner einmal als »Apotheose des Tanzes« bezeichnet hat, und die Sie mit den rituellen Tänzen aus Strawinskys »Sacre du printemps« kombinieren. In einem anderen Programm treffen Gershwins »Cuban Overture« auf die »Sinfonischen Tänze« von Rachmaninow, auch hier geht es um Tanz und Rhythmus. Mögen Sie Musik, die diesen tänzerischen Impetus hat, oder ist das reiner Zufall?

Das ist kein Zufall und ja, ich liebe tänzerische Musik. Es geht jedoch nicht nur um den Tanz, sondern auch um eine gute Dramaturgie. Das kann wie hier eine Art thematischer roter Faden sein, aber ebenso so gut funktioniert für mich ein reiner Kontrast: das eine Stück tänzerisch, das andere eher meditativ. Wenn wir dem Publikum schon all diese bekannten Werke vorspielen, sollte man den Kontext interessant machen. Das ist natürlich die Aufgabe von Veranstaltern und Intendanten, aber ich nehme an diesem Prozess gerne teil.

Ein Thema gibt es auch im Ihrem Konzert mit Beethovens »Eroica« und dem »Heldenleben« von Strauss: das Heroische. Was macht für Sie ein gutes Programm aus?

Unerwartete und frische Kontexte sind wichtig für ein Programm. Am wichtigsten ist jedoch die musikalische Qualität. Ich habe schon Konzerte mit einem eher langweiligen Programm erlebt und hatte trotzdem einen fantastischen Abend, weil die Werke herausragend gespielt wurden.

Jakub Hrůša
Jakub Hrůša © Andreas Herzau

Noch einmal zurück zum Tanz, der ja auch in der böhmischen Musik eine wichtige Rolle spielt: Mir hat ein Dirigent einmal gesagt, dass der Tanz die Grundlage aller Musik ist. Richtig?

Wenn der »Tanz« nicht präsent ist, wird die Musik schnell arm. Selbst tief gedachte und spirituelle Musikstücke haben eine Komponente des Tanzes. Denn was ist Tanz eigentlich? Er ist eine kultivierte und organisierte Bewegung – genauso wie die Musik. Tanz und Musik sind eng verwandt und haben einander immer begleitet. Eigentlich ist ja auch meine Tätigkeit eine Form von Tanz, wenn auch kein Ballett. Aber Dirigieren ist Bewegung, diese Bewegung hat Akzente, diese Akzente werden organisiert – und diese formale Organisation ist das, was wir am Ende als Musik genießen. Der Genuss von Bewegung ist also explizit und implizit in der Musik präsent.

Also keine Musik ohne Tanz?

Die Verbindung von Tanz und Musik ist eine der natürlichsten Sachen der Welt. Das sagen uns schon Begriffe wie Takt und Metrum: In dem Moment, in dem es einen Schwerpunkt im Takt gibt, auf den leichtere Betonungen folgen, haben wir eigentlich schon einen kleinen Tanz.

 

Interview: Bjørn Woll, Stand: 18.12.2023

Dieser Artikel erschien im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 1/24)

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