Georg Friedrich Händel: Miniatur von Christoph Platzer (ca. 1710)

Händels Geheimnis

Schon zu Lebzeiten wurde Händel gefeiert wie ein Popstar – was ist das Geheimnis des Komponisten?

Wahre Genies, so heißt es, seien ihrer Zeit immer voraus. Und ganz von der Hand zu weisen ist es nicht: Johann Sebastian Bach, Franz Schubert, Gustav Mahler – ihr Ruhm kam erst posthum; zu Lebzeiten erreichte sie davon, wenn überhaupt, nur ein schwacher Abglanz. Ganz anders Georg Friedrich Händel: Von Halle aus eroberte er die Welt; schon zu Lebzeiten verewigte man ihn in Bronzestatuen. Er hinterließ zudem mehr Werke als Bach und Beethoven zusammen, und bis heute währt sein Ruhm praktisch ohne Unterbrechung. Was steckt hinter diesem Erfolg?

Händel, der Unternehmer

Händels Karriere ist die Geschichte eines beispiellosen Aufstiegs: Geboren in Halle an der Saale als Sohn eines Hofarztes, wurde er schon früh als Wunderkind entdeckt und ausgebildet. Seinen Durchbruch feierte er mit seiner ersten Oper »Almira« hier in Hamburg an der Gänsemarkt-Oper, wo er sich von einem eifersüchtigen Rivalen sogar zu einem Degenduell herausfordern ließ. Mehrere Jahre bereiste er anschließend Italien, lernte Komponistenkollegen, Fürsten und Könige kennen und wurde als »Il Sassone« (Der Sachse) bekannt.

Mit Mitte 20 schon eine Berühmtheit, ließ er sich ab 1712 in London nieder. In der wohl aufregendsten Kulturmetropole Europas behauptete er sich auf dem hart umkämpften Musikmarkt. Er entpuppte sich dabei nicht nur als fleißiger Komponist (er schrieb insgesamt 42 Opern), sondern auch als cleverer Geschäftsmann und als Marketing-Genie. Sein legendärer Appetit und sein stattlicher Leibesumfang dürfen durchaus als Beweis seines Erfolgs gewertet werden.

Händel, der Freigeist

Auf dem Höhepunkt seines Schaffens war Händel ein »freier Künstler, der sich nicht mehr den ästhetischen Vorlieben eines absolutistischen Herrschers oder den dogmatischen Forderungen einer geistlichen Obrigkeit, sondern nur noch den Erwartungen und Wünschen eines gebildeten, wohlsituierten Publikums verpflichtet fühlte«, fasst es der Hamburger Musikwissenschaftler Hans Joachim Marx zusammen.

Das war neu, denn viele Kollegen vor oder neben ihm komponierten im Dienste von Fürsten, Königen oder kirchlichen Würdenträgern. Auch Händel nahm Zuwendungen dieser Art zwar gern entgegen, machte dann aber doch lieber sein eigenes Ding. Als er etwa nach London ging, war er eigentlich noch beim Kurfürsten Georg in Hannover angestellt, doch der scheint Händel seine eigenmächtige Dauer-Abwesenheit nicht übel genommen zu haben: Als Georg zwei Jahre später König von England wurde, bestellte er unter anderem die berühmte »Wasser-« und die »Feuerwerksmusik«. Händels prunkvollen Klängen konnte sich eben niemand entziehen.

Georg Friedrich Händel: Feuerwerksmusik

»Händel ist nicht nur ein bloßer Komponist in England: Er ist eine Institution. Mehr noch, er ist eine heilige Institution.«

George Bernard Shaw, Literaturnobelpreisträger (1856–1950)

Händel, der Popmusiker

Händel war ein Genie, keine Frage. Aber er saß nicht einfach nur am Schreibtisch und wartete auf Eingebung von ganz oben, mit der er dann Werke zur geistigen Erhöhung schrieb. Nein, seine Musik war (und ist) Unterhaltungsmusik – und zwar im besten Sinne! Dass es ihm dabei natürlich auch um künstlerische Qualität ging, ist kein Widerspruch. Auch (wirklich gute!) Popmusik funktioniert nach diesen Kriterien. Dazu passt der Umstand, dass die meisten barocken Arien im Schnitt drei bis fünf Minuten lang sind – genau wie heutige Radiosongs. Und es hat ja funktioniert: Noch immer finden Händels Melodien wie Pophits Verbreitung: das »Halleluja« aus dem »Messias« zum Beispiel oder die ersten Takte zu dem Krönungsanthem »Zadok The Priest«, die heute als Erkennungsmelodie der Fußball-Champions-League dient. Vielleicht liegt es auch einfach daran: Händel lässt sich problemlos pfeifen – probieren Sie es aus!

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Händel vs. Bach

Wer über Händel spricht, kann über Bach nicht schweigen. Und es liegt ja auch so nah! Nur wenige Tage und Kilometer trennen Händel (geboren am 23. Februar 1685 des damals gültigen julianischen Kalenders in Halle) und Johann Sebastian Bach (geboren am 21. März in Eisenach). Dennoch hätten ihr Lebensweg und ihre Musik unterschiedlicher kaum sein können. Hier der Lebemann Händel, ein Global Player im Musikgeschäft seiner Zeit. Auf der anderen Seite Bach, der sich aus Thüringen und Sachsen kaum herausbewegte. Hamburg und Berlin stattete er einen Besuch ab, weiter kam (und wollte) er nicht. Auf der Höhe der Zeit bewegte sich Bach zwar trotzdem – was Händel andernorts live erlebte, studierte er in Partituren, die er sich zukommen ließ.

Und doch glaubt man, die unterschiedlichen Persönlichkeiten auch in der Musik wiedererkennen zu können. Bach, der Gelehrte, mit seiner subjektiven, nach innen gekehrten Musik. Sie erschließt sich nicht nur über die Ohren, sondern spricht auch auf intellektueller Ebene an. Händel geht da deutlich verschwenderischer ans Werk, setzt auf Emotionen und Breitenwirkung. Persönlich kennengelernt haben sich die beiden Barockgiganten übrigens nicht. Drei Anläufe zum einem Treffen gab es, glaubt man den Geschichtsbüchern, doch es hat nicht sollen sein: Bach und Händel, sie sind sich nie begegnet.

Text: Simon Chlosta, Stand: 14.11.2019

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