Bühne Großer Saal

Dicht getaktet

Durch die Nacht mit den Technikerinnen und Technikern der Elbphilharmonie.

»Okay, geht los«: Die schweren Holztüren schwingen auf, hundert Musiker schreiten hinaus auf die Bühne des prall gefüllten Großen Saals. Es ist genau 20 Uhr und ein ganz gewöhnlicher Donnerstagabend in der Elbphilharmonie: ein Sinfoniekonzert des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Antje Kunz lässt hinter der Bühne das Walkie-Talkie sinken. Konzertbeginn. Für die technische Inspizientin ist das die Gelegenheit, kurz durchzuatmen, bevor es gleich wieder schnell gehen muss.

Der Konzertalltag der Elbphilharmonie ist dicht getaktet, Verschnaufpausen sind für die Technikerinnen und Techniker des Hauses kaum drin. Mit dem Schlussapplaus eines Konzerts beginnen für sie oft schon die Vorbereitungen für die nächste Veranstaltung. Doch die täglichen Herausforderungen haben sie zu einem perfekt abgestimmten Team zusammengeschweißt, mit dem sich jede noch so umfangreiche Produktion stemmen lässt und auch der längste nächtliche Umbau einmal zu Ende geht.

Antje Kunz Antje Kunz © Markus Klingenhäger

»Ob weltberühmter Künstler oder nicht: Wenn ein Flügel im Fluchtweg steht, muss der weg.«

Antje Kunz

In der Kommandozentrale

Antje Kunz sitzt beim heutigen Konzert des Elbphilharmonie-Residenzorchesters am Inspizientenpult. Es ist eine der Schichten, die sie regelmäßig übernimmt. »In dieser Position bin ich am Konzertabend die Schnittstelle zwischen Bühne, Technik und Publikum und letztlich dafür verantwortlich, dass alles reibungslos abläuft.« Ein Job, für den man sich in sämtlichen Bereichen auskennen muss. »Eigentlich ist es so, dass alle Technikerinnen und Techniker hier im Haus alles beherrschen: Ton-, Licht-, Video- und Bühnentechnik. Jeder hat zusätzlich sein Spezialgebiet, bei mir ist es das Licht; aber als Inspizientin muss ich auch Podeste verfahren oder Mikrofone aufbauen können.«

Das Inspizientenpult ist vor und während des Konzerts die Kommandozentrale. Unzählige Regler, Knöpfe und Monitore reihen sich aneinander. »Von hier aus steuern wir zum Beispiel das Licht in den Foyers und im Saal, spielen die Konzertgongs ab oder schalten das Signal der Saalkameras auf einzelne der über 200 Monitore im Haus – etwa in die Loge eines Solisten.« Auch für die Sicherheit rund um das Konzert ist die Inspizientin verantwortlich: »Da ist es dann egal, ob das ein weltberühmter Künstler ist oder nicht: Wenn backstage ein Flügel im Fluchtweg steht, muss der weg. Genauso, wenn die Bühne noch verfahren wird, dann muss man sich auch mal vor ein komplettes Orchester stellen und sagen: Ihr dürft da noch nicht rauf.«

Klönen mit Weltstars

Mit den Orchesterwarten des NDR Elbphilharmonie Orchesters ist das unproblematisch: »Da kennt man sich ja, das ist immer sehr nett.« Und wenn auch die externen Techniker solche Dinge verstehen, »dann kann man hier echt schöne Abende verbringen« – und dabei den einen oder anderen Weltstar kennenlernen: »Mit Patricia Kopatchinskaja habe ich hier viel geklönt, oder Yo-Yo Ma der war auch super. Als er nach seinem Konzert zum Verbeugen rausging, sagte er ›Hier halt mal‹ und drückte mir sein Stradivari-Cello in die Hand. Das ist schon der Wahnsinn, was man hier täglich so erlebt.«

Matthias Baumgartner Matthias Baumgartner © Markus Klingenhäger

»Es ist ein Haus, das hohe Standards setzen kann und muss.«

Matthias Baumgartner

22 Uhr: Das Konzert ist zu Ende. Sobald das Publikum den Saal verlassen hat, sind die Orchesterwarte dran: Instrumente, Partituren, Stühle – alles wird eingesammelt und sorgfältig verstaut. Kaum ist das letzte Notenpult zusammengeklappt, fährt an der Südseite der Elbphilharmonie ein Lkw zentimetergenau rückwärts an die enge Laderampe heran. Mit schnellen Griffen wird die Klappe geöffnet. Schwere, schwarze Flightcases werden Richtung Aufzug gerollt. Die nächste Lieferung ist da.

Matthias Baumgartner erwartet das Material schon vor dem großen Lastenaufzug im zwölften Stock. Es sind Lautsprecher, Traversen und zusätzliche Spots für ein großes, verstärktes Konzert am nächsten Tag. Als technischer Projektleiter ist Baumgartner für die Planung von solch aufwendigeren Veranstaltungen verantwortlich. Anders als bei den nicht-verstärkten Konzerten, die in der Regel nach einem vordefinierten Standard ablaufen, muss er hier im Voraus genau festlegen, was an zusätzlicher Technik benötigt wird. »Wir klären schon früh ab, was wir überhaupt umsetzen können und wie hoch die Kosten dafür sind. Als Nächstes buchen wir eventuell benötigte Technik dazu und erstellen detaillierte Zeitpläne für den Auf- und Abbau.«

Detaillierte Zeitpläne

Bei großen Produktionen, etwa der Gala zum Deutschen Radiopreis im vergangenen Herbst, beginnen die Absprachen mit den verschiedenen Gewerken und externen Dienstleistern schon Wochen vorher – und Baumgartner muss den Überblick behalten: Kommt die Beschallungsanlage zu spät oder parkt der Übertragungs-Wagen am falschen Platz, gibt es schnell Engpässe. »Wir hatten für diese Veranstaltung allein schon über 500 Spots im Großen Saal, in jeder anderen Location hätte man für so einen Aufbau mehrere Tage eingeplant.« Doch im Großen Saal sind die Zeitslots knapp. Für große Produktionen werden dann zusätzlich freie Techniker dazu gebucht.

Als so ein freier Techniker hat auch Baumgartner gearbeitet, bevor er im März 2016 zur Elbphilharmonie wechselte – in einem Projektbüro half er, letzte technische Vorbereitungen für die Eröffnung zu treffen. »Ich kenne das Haus also noch mit Gerüsten und ohne Boden drin. Das ist schon etwas ganz Besonderes, von Anfang an dabei gewesen zu sein. Es ist ein Haus, das hohe Standards setzen kann und muss – und wir setzen alles daran, diese hohen Erwartungen zu erfüllen.«

Treppenhaus
Treppenhaus © Markus Klingenhäger
Thomas Sebescen Thomas Sebescen © Markus Klingenhäger

»34 Lastkettenzüge – an jeden können wir bis zu eine Tonne Gewicht hängen.«

Thomas Sebescen

22:40 Uhr: Beim heutigen Aufbau verläuft alles nach Plan. Zeit für Baumgartner, sich nach einem langen Arbeitstag in den Feierabend zu verabschieden. Er übergibt an Thomas Sebescen, der den Einbau als Bühnentechniker betreut.

Thomas Sebescen ist heute Abend entspannt: »Am Anfang hat das immer etwas länger gedauert, aber wir arbeiten ja regelmäßig mit den gleichen Firmen zusammen. Da haben wir uns mittlerweile gut aufeinander eingespielt.« Wenn Arbeiten auf der Bühne anstehen, wird deren Rückwand mit wenigen Griffen zur Seite geschoben: Ein drei Meter breiter Durchgang tut sich auf. Er führt, direkt unter den Stuhlreihen hindurch, hinter die Bühne und zu dem großen Lastenaufzug. Dessen sechs Meter lange Kabine ist geräumig – hier würde durchaus ein Geländewagen reinpassen – und doch eine Art Nadelöhr für den An- und Abtransport von Material.

Ketten anziehen

Das meiste Material ist mittlerweile auf der Bühne angekommen. Die einzelnen Teile der großen Alu-Traversen werden ineinandergesteckt und mit lauten Hammerschlägen festgeklopft. Von seinem mobilen Schaltpult aus lässt Sebescen schwere Eisenketten aus der Decke bis auf den Boden der Bühne herunter. »Von diesen Lastkettenzügen haben wir insgesamt 34 im Großen Saal. An jeden Einzelnen können wir bis zu eine Tonne Gewicht hängen.« Die Traversen werden eingehängt und auf anderthalb Meter hochgezogen – die optimale Höhe, um die großen Lautsprecher zu befestigen. Ist alles fertig, fährt Sebescen das Traversen-Mobile in seine Endposition, in 13 Meter Höhe. Dann beginnt das gleiche Spiel für die Lichttechnik.

Durch die Nacht

»Das grobe Gerüst ist schnell aufgebaut, aber die Feinanpassung braucht danach immer etwas Zeit«, erklärt Sebescen. Durchhaltevermögen ist also gefragt. »Mir sind die Schichten in der Nacht aber fast lieber. Ich schlafe dann am nächsten Tag aus und kann um 15 Uhr mein Kind von der Kita abholen. Dann kommt meine Frau nach Hause, und man hat noch ein wenig Zeit zusammen, das passt eigentlich gut.«

Ein Aufbau in der Nacht hat auch praktische Vorteile: Niemand steht im Weg, blockiert den Aufzug oder hat andere, dringende Anfragen. Wenn am Abend die letzten Konzertbesucher, Touristen, Musiker und Kollegen nach Hause gegangen sind, wird es ganz still in der Elbphilharmonie: »Das komplette Haus ist plötzlich deins – das ist schon immer eine ganz besondere Stimmung.«

Katrin Irretier Katrin Irretier © Markus Klingenhäger

»Die Technik hier ist extrem gut miteinander vernetzt.«

Katrin Irretier

Am nächsten Tag ist sämtliche Technik eingehängt und funktionstüchtig. Katrin Irretier beginnt, die Lichtshow für den Abend vorzubereiten.

Das große Lichtmischpult ist für heute Katrin Irretiers Arbeitsplatz. »Sobald die Künstler ankommen, spreche ich mit ihnen ab, was sie sich vorstellen, oder mache Vorschläge. Eine Besonderheit, fürs Licht genau wie für den Ton, ist, dass wir aufgrund des kreisrunden Saales alles in 3-D denken müssen – da muss man sich schon drauf einstellen.«

Für Irretier ist das eine Herzensaufgabe: »Ich bin überzeugte Lichttechnikerin, ich glaube, dass man mit gutem Licht die Stimmung bei einem Konzert entscheidend mittragen kann.« Angefangen hat diese Leidenschaft vor zwanzig Jahren in der schulischen Theatergruppe: »Ich stand als Schauspielerin auf der Bühne und merkte: Oh Gott, das ist überhaupt nichts für mich. Da meinte die Regisseurin: Dann mach doch das Licht. So ging das los.«

Patchen und löten

In der Elbphilharmonie übernimmt Irretier, genau wie ihre Kollegen, neben der Arbeit am Lichtpult noch verschiedene andere Jobs: Mal betreut sie Konzerte, mal lötet sie Kabel im Lager, mal klettert sie zwischen der inneren und äußeren Schale des akustisch entkoppelten Großen Saals herum, um entlegene Spots einzurichten. Regelmäßig muss sie auch Licht-, Ton- oder Videosignale »patchen«, also neue Querverbindungen im Haus einrichten. Grundlage dafür sind die mehr als 300 Versatzkästen und Anschlusspunkte, die im ganzen Haus verbaut sind.

»Die Technik hier ist extrem gut miteinander vernetzt. Wenn ich einen Spot unter der Decke an einen Versatzkasten anschließe, kann ich ihn danach eigentlich von überall aus bedienen. Ist ein Filmteam im Saal, kann man deren Videosignal quasi überall im Haus abgreifen – ohne erst kilometerlang Kabel legen zu müssen. Das kann sehr komplex werden und ist manchmal ein bisschen wie eine Schnitzeljagd, macht aber viel Spaß. Technisch ist in der Elbphilharmonie einfach wahnsinnig viel möglich – langweilig wird uns hier so bald nicht.«

Text: François Kremer (13.12.2018)

Dieser Artikel erschien im Elbphilharmonie Magazin 01/2019.

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