Wachswalzen

5 Fragen an Danûk

Von einer Wachswalze zum Spotify-Hit: Die Band Danûk verarbeitet Phonograph-Aufnahmen aus dem frühen 20. Jahrhundert zu fetziger Gegenwartsmusik. Ein außergewöhnliches Projekt des Kurdistan-Festivals.

Für ihr Debütalbum widmet sich die fünfköpfige Band Danûk neu gefundenen Aufnahmen kurdischer Gesänge aus dem frühen 20. Jahrhundert. »Morîk« nennen sie ihr Projekt – zu Deutsch: Perlen. »Es sind Schätze, die im tiefen und dunklen Ozean des Vergessens verborgen und verloren waren«, sagen die Musiker. Im Rahmen des Kurdistan-Festivals im November 2023 präsentieren sie ihr außergewöhnliches Projekt auch in der Elbphilharmonie.

Danûk
Danûk © Maria del Mar Marais

Worum geht es beim Projekt »Morîk«?

Unser Debütalbum heißt »Morîk«, was auf Kurdisch »Perle« bedeutet. Wir haben diesen Namen als Metapher dafür gewählt, dass wir einen im tiefen und dunklen Ozean des Vergessens versteckten und verlorenen Schatz gefunden haben. Das Album ist eine Kombination aus neu komponierter Musik zu über 100 Jahre alten Aufnahmen auf Wachszylindern und Neuinterpretationen von traditionellen kurdischen Hochzeitsliedern. Diese alten Lieder sind unsere Perlen.

»Morîk«

Jetzt reinhören!

Danûk
Danûk Danûk © Maria del Mar Marais

Wie verlief die Recherche für dieses Projekt?

2018 bat Ferhad Feyssal seine Frau Maria del Mar, die damals ihren Master machte, in der Datenbank der Universität nach wissenschaftlichen Veröffentlichungen über kurdische Musik zu suchen. Ein Artikel erwähnte Lieder in kurdischer Sprache, die im frühen 20. Jahrhundert auf Wachszylindern aufgenommen wurden und nun in Museumsarchiven in Wien und Berlin liegen. Einige der Aufnahmen stammen von dem Anthropologen Felix von Luschan, Direktor des Berliner Ethnographischen Museums, der diese Lieder während einer Expedition zu den Ausgrabungen in Sendshirli (heutige Türkei) entdeckte. 1912 machte der deutsche Theologe Dr. Gustav Klameth weitere Aufnahmen vom Gesang eines syrischen Priesters in einer Jerusalemer Kirche.

In den wissenschaftlichen Artikeln wurde nicht erklärt, worum es in diesen Liedern ging. Ferhad und Maria wurden neugierig: Handelte es sich um bekannte Volkslieder, die auch heute noch gesungen und aufgeführt werden? Oder könnte es sein, dass sie verschwunden waren und dies eine Chance sein könnte, dieses verlorene Erbe wiederzufinden? Maria reiste nach Wien, um sich im Phonographischen Archiv nach den Aufnahmen von Dr. Gustav Klameth zu erkundigen. Man fand die alten Aufnahmen und digitalisierte sie. Auch im Berliner Archiv wurden sie fündig und ehielten Digitalisate der historischen Aufnahmen.

Thomas Alva Edison meldet 1878 ein Patent auf seinen Phonograpen an
Thomas Alva Edison meldet 1878 ein Patent auf seinen Phonograpen an © Wikimedia Commons

Die Lieder waren von einem deutlichen Hintergrundgeräusch des Phonographen begleitet (dieses Hintergrundgeräusch wurde mit dem Geräusch des Schüttelns eines Metallrings über dem Gesang von Axir Zemana neu interpretiert). Ferhad transkribierte die Texte und traf sich mit Danûk in den Niederlanden, wo sie gemeinsam die Songs komponierten. Die Aufnahme der neu arrangierten Songs fand im Sommer 2021 im Studio vom Snarky Puppy-Bandleader Michael League außerhalb von Barcelona statt.

Phonograph-Aufnahmen für »Morîk«: Hörbeispiele

Mit besonderem Dank ans Berliner Phonogramm-Archiv (Quelle: Sammlung Luschan Vorderasien, VII W 4550/5552/4556, Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums – PK)

Glaubt ihr, dass jede Musik ihre eigene Zeit hat?

Wir sind der Meinung, dass Musik zeitlos ist, aber dass es Raum für Neuinterpretationen und Kreativität gibt, um sie für die heutige Zeit relevant zu machen. Mit den Liedern auf den Wachswalzen schließen wir einen jahrhundertealten Kreis, indem wir den Zugang zu den Aufnahmen zurückgewinnen, die europäische Entdecker in unserer Heimat gemacht haben. Der Krieg zwang uns, aus unserem Land zu fliehen und nach Europa zu reisen. Es fühlt sich gut an, nun von hier aus auf andere kleine Teile unseres kuturellen Erbes zuzugreifen –  sie wieder zum Leben zu erwecken. Die europäischen Forscher von damals hätten sich bestimmt niemals vorgestellt, dass in 100 Jahren eine Gruppe von Musikern nach ihren Aufnahmen suchen würde, um ein Album zu machen.


Ist es wichtig, sich als Künstler:in in einer Tradition zu sehen?

Der Krieg in unserer Heimat führt dazu, dass unsere Kultur auszusterben droht. Als Kurd:innen werden unsere Lieder und Traditionen mündlich weitergegeben. Die aktuelle Massenflucht von jungen Menschen und Künstler:innen unterbricht die natürliche Kette der mündlichen Weitergabe. Daher sind wir der Meinung, dass die Wiederherstellung, Dokumentation und Verbreitung unserer Traditionen und unseres Erbes wichtiger denn je ist.
 

Was ist eure Mission?

Wir möchten, dass die Menschen, die unsere Musik hören, etwas Neues erleben – vielleicht die Klänge einer Kultur und einer Nation kennenlernen, die sie vorher nicht kannten. Wir haben das Gefühl, dass es so viele negative Nachrichten aus unserer Region gibt. Dieses Narrativ wollen wir herausfordern und die Breite und Komplexität unserer Kultur und Geschichte zeigen. Wir glauben nicht an politische Kriege – das Einzige, wofür wir kämpfen, ist das Überleben unserer Kultur.

 

Interview: Julika von Werder, Juni 2023

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