Ema Nikolovska

Ema Nikolovska im Portrait

Keine Grenzen im Kopf – die junge Mezzosopranistin Ema Nikolovska ist bekannt für ihre außergewöhnlichen Programme.

Es gibt ein sehr eindrückliches Video, in dem Ema Nikolovska nicht nur zu sehen ist, sondern das sie auch inhaltlich mitgestaltet hat: »Abschied von der Erde«. In nur acht Minuten zeigt der Mitschnitt, warum die Sängerin völlig zu Recht auf der Überholspur unterwegs ist. Darin steht sie auf der kleinen Bühne einer Kneipe, um sie herum lauter Trubel, typisches Kneipenpublikum. Keiner achtet auf die junge Frau mit der roten Baskenmütze. Aber sie achtet auch nicht auf das Chaos um sie herum.

Sie beginnt zu rezitieren, erzählt von der Unmöglichkeit, jemand anderes zu sein, rein körperlich sich selbst zu entfliehen. Ein Spielautomat dudelt dazwischen, ein Klavier beginnt mit leisen Triolen. Ema Nikolovska singt die ersten Zeilen von Franz Schuberts »An den Mond«, stolpert über zwei Konsonanten, fängt ein Lied von Debussy an, das sich schnell wieder träumerisch verflüchtigt. So geht es weiter, immer neue Fetzen aus Lyrik, Kunstliedern, Songs tauchen auf. Manchmal grölt ein Tresen­sitzer mit, am Ende setzt zögerlich Applaus ein, der dann doch noch voll aufbrandet.

»Sie wollte Stabilität und fand sie im Chaos«, steht im begleitenden Text – und das ist die Beschreibung vielleicht nicht nur von Ema Nikolovskas Persönlichkeit, sondern ganz sicher auch einer komplexen Kernfrage, mit der sich eine ganze Generation junger Musiker:innen derzeit konfrontiert fühlt. Wie ent­wickelt sich das Konzertleben weiter? Wie bleibt das klassische Konzert­format für das Publikum interessant? Wie kommt Nachhaltigkeit ins Spiel? Welche Transformationen sind nötig, damit klassische Musik nicht den Anschluss an die Gesellschaft verliert?

Mehr als nur schön singen

Ema Nikolovska weiß um diese Misere; sie ist jung genug, um ihre Vorbilder nicht mehr unter den großen Gesangsstars wie Waltraud Meier oder Renée Fleming, Cecilia Bartoli oder Elisabeth Kulman zu suchen. In unserer schnelllebigen Gesellschaft ist es eben nicht mehr damit getan, schön und hoch zu singen. Sängerinnen und Sänger müssen mehr bieten. Zum Beispiel: sorgfältig kuratierte Konzerte, ein Repertoire, das bestenfalls keine Grenzen kennt. Und da kommt Ema Nikolovska ins Spiel. Ihre Programme sind auf den ersten Blick komplex, fast unübersichtlich. Doch bei näherem Hinsehen und -hören haben sie so viele Querverbindungen, ähnliche Stimmungen, Themen oder intuitiv wahrnehmbare musikalische Mittel zu bieten, dass einem im Sekundentakt (hoffentlich nur in Gedanken) die Ahs und Ohs entfahren.

Ema Nikolovska
Ema Nikolovska © Kaupo Kikkas

Immer der Neugier nach

Eigentlich hatte die 1998 im mazedonischen Skopje geborene Ema Nikolovska nie vor, als Sängerin Karriere zu machen. Im Alter von vier Jahren bekam sie ihren ersten Geigenunterricht. Damals lebte die Familie schon in Toronto, wohin die Eltern kurz zuvor ausgewandert waren. Das Aufwachsen in zwei sehr unterschiedlichen Kultur- und Sprachumgebungen war natürlich prägend. »Ich bin mir sicher, dass dadurch meine Sichtweise von Musik und Klang als riesiges Universum stark beeinflusst wurde. Während ich dieses Universum erforsche, füttere ich meine persönliche Klang- oder Fantasie-Datenbank. Und das wiederum beeinflusst unterbewusst – oder sogar bewusst – die Entscheidungen, die ich treffe, die Risiken, die ich eingehe, oder wie sehr ich mich auf meine eigene Neugier verlasse und berufe.«

 

»Wenn ich Ruhe und Erdung in mir finden möchte, muss ich mich mit dem Chaotischen in mir auseinandersetzen.«

Ema Nikolovska

 

Und so hat sich Ema Nikolovska eben auch auf ihre Neugier verlassen, als sie mit erst 16 Jahren ihre erste Gesangsstunde nahm – da hatte sie schon einen Abschluss im Fach Violine in der Tasche. Es fühlte sich einfach schnell sehr richtig an, sagt sie in der Rückschau, viel richtiger als Geige. Der Wechsel war beschlossene Sache, der Erfolg ließ wirklich nicht lange auf sich warten. Schon bald nach ihrem Gesangsstudium in Toronto und London erntete die junge Sängerin zahlreiche Preise und Auszeichnungen, unter anderem beim Internationalen Gesangswettbewerb im niederländischen 's-Hertogenbosch und bei den britischen Kathleen Ferrier Awards.

Seit 2019 ist sie BBC New Generation Artist – eine Förder-Reihe, die schon Künstler:innen wie Janine Jansen und Igor Levit Flügel verlieh –, ein Jahr später wurde sie Mitglied im Opernstudio der Staatsoper Berlin. Auch als Liedsängerin gelang ihr prompt der Sprung in die erste Liga, trat sie doch im Berliner Pierre-Boulez-Saal und in der Londoner Wigmore Hall mit renommierten  Klavierpartnern wie Malcolm Martineau und Wolfram Rieger auf.Auch in ­Hamburg ist sie schon längst keine Unbekannte mehr: 2021 brillierte sie in der Elbphilharmonie beim ­Festival »Song of America: A Celebration of Black Music«, 2022 gibt sie im Rahmen der Reihe FAST LANE ihren ersten Liederabend im Kleinen Saal.

Keine Grenzen im Kopf

Und trotzdem denkt sie heute schon an das, was nach dieser ersten Erfolgswelle, auf der sie immer noch surft, kommen soll. Sie möchte Hör­gewohnheiten hinterfragen, das Publikum herausfordern. Mit guten Programmen, die gegensätzliche Klangwelten aufeinandertreffen lassen. Es gibt da keine Grenzen, zumindest nicht in Ema Nikolovskas Kopf. Und so sind die guten, außergewöhnlichen Programme schon jetzt zum Marken­zeichen geworden. Sie hat dazu sogar bereits Masterclasses gegeben. Ihr Ziel ist es, dass jeder und jede im Publikum zumindest einen kleinen lebensverändernden Moment hat. Sie glaubt an die Kraft der Musik.

 

Artikel: Renske Steen, Stand: 7.12.2022.

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